"Die drei ??? - 30 Jahre Hörspielkult" mutet an wie eine Festschrift zum runden Jubiläum der Hörspielserie. Interviews mit den an der Hörspielproduktion beteiligten Personen wurden geführt und - entweder als Transkription oder als mit Interviewauszügen garnierte Portraits und Werkstattberichte - in dem nun vorliegenden Buch gebündelt. Zunächst widmet man sich den drei Sprechern Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich in einem gemeinsamen Interview (die Befragten werden geduzt), danach wird ihr Werdegang einzeln beleuchtet. Es folgen die Regisseurin und Produzentin Heikedine Körting mit ihrem Mann, dem langjährigen "Künstlerischen Gesamtleiter" Prof. Dr. Andreas Beurmann, Cutterin Hella von der Osten-Sacken, die Drehbuchautoren H.G. Francis und André Minninger, die Grafikerin Aiga Rasch, Sony-Produktmanagerin Corinna Wodrich und Carsten Bohn, Hörspielmusiker u.a. der ersten 39 drei ???-Hörspielfolgen.
Das Buch wiegt erstaunlich schwer in der Hand und bringt ein dreiviertel Kilo auf die Waage; dieser gewichtige Eindruck relativiert sich nach Beginn der Lektüre allerdings sofort. Rechnet man die 15 Seiten schindende Diskographie nicht mit, besteht "30 Jahre Hörspielkult" aus etwas mehr als 140 Seiten, die von einem überschaubaren Text in luftigem Layout und mehr als 100 zumeist großflächigen Fotos gefüllt werden. Und wo wir schon beim Zählen sind: erstellt man eine Knips-Skala, so rangiert Heikedine Körting mit 16 Fotos auf dem 4. Platz hinter den drei Sprechern, von denen nur Oliver Rohrbeck (25) und Jens Wawrczeck (27) gleichberechtigt behandelt wurden, während Andreas Fröhlich sage und schreibe neunundreißigmal zu sehen ist. Dies ist nicht das einzige Indiz für unausgewogene Inhalte.
Die Interviews und Portraits bieten dem Leser allerlei ungeordnete Wissensfragmente zur Produktion einer der bekanntesten kommerziellen Kinderhörspielserien, angereichert mit persönlich gefärbten Anekdoten, die bereits seit mehreren Jahren in zahllosen Interviews wiedergekäut wurden (apropos wiederkäuen: das Stammlokal der Sprecher wird recht häufig beim Namen genannt). Wohltuende Ausnahmen bilden hier die Ausführungen von Aiga Rasch (mit detaillierten Hinweisen zur Entstehung des Seriendesigns), Corinna Wodrich und Hans Gerhard Franciskowsky - schon weil die drei bislang selten öffentlich Auskunft über ihre Arbeit gaben. Informationen zum Jahrzehnte währenden Rechtsstreit mit Carsten Bohn oder zum spektakulären Lizenzkonflikt zwischen Kosmos und Sony sind nicht sonderlich tiefschürfend und werden mitsamt allen "DIE DR3I"-Hörspielen unter den Teppich gekehrt.
Im Gegensatz zum Text sind die Fotos - bis auf einen geringen Prozentsatz alter Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 1980er Jahren (derer es noch mehr gegeben hätte) - neu. Ihre handwerkliche Qualität ist top, doch der Inhalt schwankt zwischen Bunte/Gala-Homestory und Bravo-Starschnitt. Alles ist inszeniert. Bei manchen "Mein Haus, meine Frau, mein Kind"-Motiven knirscht es an der Grenze zur Peinlichkeit. Die zahlreichen Variationen eines einzigen Motivs ermüden schnell: muss man einen Sprecher dreimal auf einer Leiter, dreimal in seinem Hängesessel oder dreimal vor seiner Plattensammlung zeigen? Hätten zwei der sechs nahezu identischen Portraits von Corinna Wodrich nicht ausgereicht? Zweifellos ist die Beschriftung eines Geräuschetonbands im Close-Up hochinteressant - aber muss man dasselbe Band auf drei Fotos zu sehen bekommen? Der wohl aufschlussreichste Einblick wird im Hörspielstudio gewährt, wenn die überbordenden Archivregale ins Bild rücken. Wer die Beschriftungen der Tonbänder liest, bekommt Lust auf mehr. Dumm nur, dass der Text das nicht hergibt.
Überhaupt färben das Inszenatorische und die Redundanz der Bilder auf den Inhalt des Textes ab. Zum einen hat der Leser ab und an mit Wiederholungen zu kämpfen, die ein Lektorat eigentlich hätte bemerken müssen (ganz zu schweigen von grammatikalischen Schlampereien bei der Einbindung des Seriennamens und von Fehlern bei Satzanschlüssen oder Begriffen wie z.B. der Hörspielfolge "Hexenhelden" sowie anderen Hörspielserien namens "TGKK" oder "Dr. Macabros" - selbst einen Namen wie "Carolyn Keene" hätte man besser gegoogelt, um eine korrekte Schreibweise sicherzustellen). Zum zweiten - und das ist das Enttäuschende an diesem Buch - schlägt die Autorisierung im Text voll durch. Die Autoren geben sich kaum Mühe zur Distanz und ordnen sich der Inszenierung unter. Tiefergehend reflektierende Fragen liest man nur selten. Es liegt ein Hauch von Kumpanei zwischen den Zeilen, vereinzelt duftet es nach Schleim. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, Brücken indirekter Rede zwischen einzelnen Interviewzitaten zu konstruieren, greifen die Verfasser munter zu euphorischem und superlativischem Vokabular: die drei ???-Hörspielserie wird unzählige Male als "Kult" bzw. "Phänomen" oder gar als "einzigartiges Hörspielphänomen" deklariert, die einzelnen Folgen "stürmen" in die Bestsellerlisten, die Serie weist eine "beispiellose Erfolgsgeschichte" auf, Elemente der Serie gelten als "genial einfach" oder gleich als "Phänomen innerhalb des Phänomens" - und die an der Produktion Beteiligten werden allen Ernstes als "Phänomenale" tituliert. Anstatt die langjährige Entwicklung und den derzeitigen Status der drei ???-Hörspielserie ernsthaft in einen geschichtlichen Kontext einzuordnen, wird andauernd ihr solitärer Charakter betont. Anstatt zwischendurch über den Tellerrand oder etwas genauer auf das Europa-Produktionsfließband zu schauen, dürfen sich Körting & Co. als die Gralshüter des deutschen Kinderhörspiels gerieren. Erklärt wird in dieser atemlosen, dauergrinsenden Hofberichterstattung überhaupt nichts.
Eine Erklärung des drei ???-"Phänomens" misslingt in diesem Buch schon allein deshalb, weil "30 Jahre Hörspielkult" einen übergewichtigen Schwerpunkt auf die Darstellung der Hörspielproduktion legt. Fast vermutet man, dass - hätte es noch mehr Buchseiten gegeben - auch Frau Körtings Putzfrau und irgendwelche Sony-Praktikanten vor die Kamera gezerrt worden wären. Demgegenüber fehlen viele wichtige Persönlichkeiten. Nicht nur zahllose Sprecher bleiben gesichtslos: auch jene Menschen, die mit ihrer Vorarbeit die drei ???-Editionsgeschichte entscheidend prägen, werden totgeschwiegen. Wieso wird Silvia Christoph mit ihren inzwischen sechzig drei ???-Illustrationen in eine Fußnote der Diskographie gequetscht und anderswo als "Nachfolgerin" abgekanzelt? Wieso wird die Schaltstelle der Hörspiel-Produktmanagerin ausführlich beleuchtet, die Schaltstelle des Lektorats bei Kosmos aber ignoriert? Und der größte Makel überhaupt: wieso wird Hörspieladapteur André Minninger als gegenwärtiger Autor von drei ???-Büchern dargestellt (letztes Buch: "Der Mann ohne Kopf", 2002), während die wahren derzeitigen Buchautoren nebst all ihren US-amerikanischen und deutschen Vorgängerinnen und Vorgängern nicht ein einziges Mal namentlich erwähnt werden? Selbst den Namen des drei ???-Erfinders Robert Arthur sucht man vergeblich, nicht einmal in der erbärmlich oberflächlichen Diskographie werden die Werke ihren jeweiligen Buchautoren zugeordnet. Mag sein, dass man "nicht ... das dickste und ausführlichste Nachschlagewerk" (Vorwort) schreiben wollte oder konnte. Die Urheber der drei ???-Geschichten allerdings derart offensiv auszublenden, ist ungehörig, weil dies die Bedeutung ihrer Arbeit und ihren Anteil am vielbeschworenen "Phänomen" und "Kult" kleinredet oder gar in Abrede stellt. Als ließen sich in einer Montagehalle die Arbeiter an der hinteren Hälfte des Fließbands für das angeblich veredelte Endprodukt loben und abfeiern, obwohl sie ohne die Vorarbeiter an der ersten Fließbandhälfte nur noch Däumchen drehen könnten. Für dieses unfaire Verfahren können die Interviewten nichts. Die Verfasser umso mehr.
Noch ein Wort zum verlegerischen Hintergrund: "30 Jahre Hörspielkult" und "hörBücher - Das unabhängige Hörbuch-Magazin" erscheinen in demselben Verlag falkemedia. Ob es ratsam ist, dass der Chefredakteur und zwei weitere (Foto-)Redakteure eines sich selbst im Untertitel als "unabhängig" bezeichnenden "Fachmagazins" für Hörbücher nun ein "autorisiertes" Buch über eine kommerzielle Hörspielserie verfassen, mag nicht nur jeder Leser für sich selbst beantworten, auch die Verfasser müssen sich diese Frage stellen. In ihrem Vorwort flüchten sie sich in die Definition, "autorisiert" sei ein Gütesiegel: da sie "jede Zeile ... von den Porträtierten autorisieren" ließen, könnten sie "garantieren, dass alles, was in diesem Buch steht, auch wirklich korrekt wiedergegeben ist". Ist die korrekte Wiedergabe von Äußerungen und Tatsachen nicht Grundvoraussetzung eines jeden journalistischen Textes? In Wahrheit reden hier die Verfasser den Umstand schön, dass der Leser keinesfalls beurteilen kann, inwieweit in diesem Buch autorisierte Inszenierung über Authentizität obsiegt.
"Die drei ??? - 30 Jahre Hörspielkult" bewirbt sich selbst als "das erste autorisierte Buch" zur drei ???-Hörspielserie - möge es auch das letzte gewesen sein. Bewertet man allein das Preis-Leistungs-Verhältnis, so handelt es sich um einen maßlos überteuerten Hochglanzband, in dem zu viele Fotos und zu wenig Text kaum neue Inhalte bieten - jedenfalls keine, die das Prädikat "die es in dieser Form noch nicht gab" (Floskel aus dem Klappentext) und den hohen Preis rechtfertigen würden. Wer außerhalb des Internets gedruckte und regaltaugliche Informationen zu drei ???-Hörspielen und -Büchern sucht, wende sich lieber an Björn Akstinats "ABC der drei Fragezeichen" (ist im "Hörspielkult"-Buch lustigerweise auf einem Foto in Rohrbecks Schrank zu sehen) und Annette Bastians "Das Erbe der Kassettenkinder" (inzwischen vergriffen). Beide Bücher haben zwar auch ihre Nachteile, aber immerhin bieten sie erheblich mehr Inhalt und Sorgfalt bei der Recherche als dieser Hörspiel-Werbeprospekt, der nur mit großzügigem Layout auf gebundenes Format gestreckt wurde, und dessen "Autorisierung" ganz gewiss kein Qualitätsmerkmal ist.
Wie würde man Hofberichterstattung in Rocky Beach bezeichnen? Schrottplatzjournalismus?
Sven Haarmann (rocky-beach.com), 23.11.2009
P.S.: In der August/September-Ausgabe von "hörBücher" (hier abgebildet) wurden übrigens Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich in einem gemeinsamen Portrait auf das Titelblatt gehoben - mit einem Foto, das wirkungsvoll der gleichen Serie wie das Buchcover-Motiv entstammt. Normalerweise sind derlei Coverportraits in Zeitschriften ja Eyecatcher und Teaser für redaktionelle Artikel bzw. Interviews im Heftinneren oder - wie man es in diesem Fall erwarten würde - Auszüge aus einem demnächst erscheinenden Buch. Der beigefügte Text "Ab Herbst im Handel: Das autorisierte Buch zu Die drei ??? (mehr dazu auf S. 63)" verwies jedoch lediglich auf einen halbseitigen Text, der weder mit einem Verfasserkürzel als redaktioneller Beitrag, noch als Anzeige eindeutig deklariert war. Vom Wortlaut her war es reine Werbung ohne jeglichen weiteren Informationsgehalt. Auf der Titelseite eines "unabhängigen" Presseerzeugnisses in vorgeblich redaktioneller Weise für ein verlagseigenes Produkt zu werben - diese Methode ist derart kühn, dass sich in der Mediengeschichte nur wenig Beispiele dafür finden lassen. Vergleichbare Fälle (z.B. Aktionen der BILD-Zeitung zu Fußball-Meisterschaften, siehe BILDblog) boten jedoch stets Anlass zu Beschwerden beim Deutschen Presserat und mitunter wurden dort Rügen ausgesprochen, weil u.a. gegen Ziffer 7 des Pressekodex - "Trennung von Werbung und Redaktion" - verstoßen wurde.
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