In der kleinen, überschaubaren Welt der gedruckten Die drei ???-Sekundärliteratur, die außerhalb von Universitäten mit zwischen zwei Buchdeckel gepressten Informationen auf große Leserschaft und hohe Auflagen spekuliert, scheint der Autor C. R. Rodenwald den Stein der Weisen gefunden zu haben: sein Werk Die Welt der drei Fragezeichen erschien Ende 2017 als unabhängiges Publikationsprojekt, zog recht bald mehrere Nachdrucke nach sich und verkaufte sich so gut, dass man es zusätzlich in einer Hörbuchfassung auf den Markt brachte.
Diese Hörbuchlizenz veräußerte man ausgerechnet an Sony, wo die mit Hörspielauszügen und eingelesenen Interviewpassagen angereicherte Lesung nicht nur von Oliver Rohrbecks Lauscherlounge umgesetzt, sondern auch von der Produktmanagerin der Die drei ???-Hörspiele organisiert wurde: ließ sich der vorgeblich eigenständig (und unter Pseudonym) agierende Historiker also nun von jenen vereinnahmen, deren Serie er untersucht hatte? Und würde ein zweites Buch folgen? Die Antworten fallen jeweils eindeutig aus: bei Die drei ??? und die Welt der Hörspiele handelt es sich nunmehr von Beginn an zweifelsfrei um eine autorisierte Seriengeschichte, die mit hochoffiziellem Die drei ???-Logo in einem mit KOSMOS eng verbandelten Verlag und somit im Auftrag und unter Aufsicht der Die drei ???-Produzenten erstellt worden ist. Wer hierin Qualitätsmerkmale erkennen möchte, kann das gerne versuchen. Bereits das ichbezogene Vorwort, das den Weg des Verfassers vom desinteressierten Nichtkenner zum glühenden Fan der drei ??? schildert, macht allerdings unmissverständlich klar, dass von ihm keine unabhängige, wirklich kritische Distanz zum Forschungsgegenstand mehr zu erwarten ist.
Für all jene, die einen Überblick über die Geschichte und die Produktionsweise der Die drei ???-Hörspiele in gedruckter Form erhalten möchten, füllt Rodenwald ähnlich wie im Erstlingswerk abermals die kleine, offenkundig einträgliche Nische des Die drei ???-Sachbuchs in linearer Form. All jenen Leserinnen und Lesern, die ohnehin schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten aufmerksam vor allem im Internet auf offiziellen Websites und auf Fanseiten verfolgen, was sich rund um die drei Detektive aus Rocky Beach so tut, bietet dieses Buch hingegen kaum Neues bzw. lässt es sogar einiges außen vor, das im Rahmen des Hörspiel-Themas durchaus von Bedeutung wäre: von den in Großbritannien und in der Schweiz produzierten Hörspielen erfährt man hier ebenso wenig wie von den zahlreichen Fanhörspielen - und erneut lässt Rodenwald Die drei ??? Kids außer acht, obwohl dieser Ableger inzwischen mehr als achtzig eigene Hörspiele zur Editionsgeschichte beigesteuert hat.
Die einleitenden Kapitel zur Vorgeschichte der Schallplattenfirma Miller International und ihres Labels EUROPA setzen bereits den Ton des gesamten Buchs, denn Rodenwald folgt weitestgehend der firmeneigenen Darstellung, wie das Unternehmen, Heikedine Körting und Andreas Beurmann sie hinlänglich formuliert haben; er hangelt sich hierfür an (in-)direkten Zitaten aus Interviews und PR-Jubelschriften entlang und versteigt sich allen Ernstes zu der Behauptung, EUROPA habe in den 1960er und 1970er Jahren "die stilistische Entwicklung zum modernen Hörspiel" vollzogen. Auch in den folgenden Kapiteln zu den zentralen Akteuren der Die drei ???-Hörspielserie verlässt sich der Autor überwiegend auf die Fülle an sattsam bekannten und in gedruckter wie virtueller Form vorliegenden Selbstdarstellungen, Informationen und Interviews, die er als Zitate in fast jeden Absatz hineinmontiert. Die erste Hochphase der Hörspiele, das kommerzielle Tal des "Gameboy-Knicks", die Renaissance und den erbitterten Rechtsstreit zwischen KOSMOS und Sony handelt Rodenwald mit vielen Verästelungen und Nebenschauplätzen in chronologischer Form ab, um nach der Wiederauferstehung der Die drei ???-Hörspielserie zu thematisch geordneten Kapiteln überzugehen und in ihnen die zahlreichen Elemente der Hörspielproduktion zu beleuchten, welche sich bekanntlich in den vergangenen vierzig Jahren kaum verändert haben.
Keine Frage, Rodenwald hat sich bereits im ersten Buch eingegroovt und er spult im zweiten Buch sein Programm routiniert ab. Hatte er allerdings zuvor das Kunststück bewältigt, alle Fäden der verzwickten Editionsgeschichte ab 1964 in eine nachvollziehbare, halbwegs kompakte Form zu gießen, kommt in Die drei ??? und die Welt der Hörspiele der abzuarbeitende Stoff weitaus übersichtlicher daher und läuft gelegentlich Gefahr, sich in eher abseitig-nerdigen (und im Grunde austauschbaren) Details und Aufzählungen zu verlieren. Löbliche Ausnahmen sind jene Versuche, in dem juristischen Sumpf rund um die frühe Hörspielmusik festen Boden unter den Füßen zu bekommen; allerdings zeigt sich nach der Lektüre der dankenswerterweise referenzierten Gerichtsurteile, dass nicht sämtliche Details des Hickhacks zur Sprache kommen - warum eigentlich nicht?
Die unzähligen von Rodenwald zitierten Quellen werden in diesem Buch erstmals per Fußnote nachgewiesen - eine deutliche Verbesserung gegenüber Die Welt der drei Fragezeichen, wo die Herkunft der Zitate nicht ordnungsgemäß, sondern allenfalls in allgemeiner Form im Text erwähnt oder sogar weggelassen worden war. In Die drei ??? und die Welt der Hörspiele werden die Belege nun ausnahmslos in einem "Anhang" erledigt, wo auf siebzehn Seiten 677 Quellennachweise auf die Leserinnen und Leser einprasseln. Wer sich diesen Textblock genau anschaut, wird feststellen, dass Rodenwald überwiegend Interviews mit Körting, Rohrbeck, Wawrczeck, Fröhlich, Minninger & Co. anhäuft, die andere geführt haben und die in Büchern, Zeitungsartikeln, akademischen Abschlussarbeiten und auf Internetseiten erschienen sind. Allein aus dem ABC der drei Fragezeichen, aus Die drei ??? - 30 Jahre Hörspielkult und aus dem Hörspielband des Masters-of-the-Universe-Magazins Die Welt der Meister zieht Rodenwald jeweils 28, 14 und 31 Interviewauszüge; aus Gesprächen in mehr als sechzig Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen und auf Internetseiten stammen oftmals jeweils ein halbes Dutzend, bisweilen mehr als 20 Zitate pro Quelle. Hier auf der rocky-beach.com wurden die frühen Chats, einige Interviews (u.a. in Nicolas Haafs Diplomarbeit im Forschungsinstitut) und vor allem die Fragebox mit André Minninger mehr als siebzigmal angezapft. Unterm Strich speist sich nur ein Sechstel der im Anhang nachgewiesenen Zitate aus Rodenwalds eigenen Interviews.
Im Haupttext spart sich der Verfasser die Erwähnung seiner Quellen nun nahezu komplett - und das hat Folgen: Zitate werden mitunter so miteinander verbunden, als gehörten sie zusammen, obwohl sie jedoch in Wirklichkeit unterschiedlichen Interviews entstammen, zwischen denen mehrere Jahre, mitunter gar Jahrzehnte liegen. In dieser handwerklich simpel gestrickten Collage flüchtet sich der Monteur ständig in neutrale Zusätze wie "erklärt Körting", "betont Oliver Rohrbeck" oder "erinnert sich Wawrczeck" - das Präsens ebnet die Unterschiede und zeitlichen Abstände wirksam ein und suggeriert möglicherweise gar, die Interviews seien erst vor kurzem (also von Rodenwald selbst) geführt worden. Regelrecht absurd wird es, wenn z.B. die Aussage Oliver Rohrbecks, er könne sich an seine erste Hörspielrolle "heute nicht mehr so genau entsinnen", in Wirklichkeit mit einem Zitat aus einem Chat von 2001 belegt wird. Den Fußnotenzeichen zum Trotz bleibt die genaue Herkunft der meisten Zitate im Text selbst im Dunkeln, zumal die Nennung all dieser dazugehörigen Quellennachweise nicht unmittelbar am Ende jeder Seite erfolgt, sondern weit nach hinten ausgelagert wird. Wer sich des mühseligen Hin- und Herblätterns enthebt und nur den Text ohne die Anmerkungen liest, wird in den wenigsten Fällen unterscheiden können, ob eine zitierte Aussage nun aktuellen Gesprächen, EUROPA-eigenen Statements, Zeitungsinterviews oder Kreuzverhören mit Fans entnommen wurde. Bei der Vorstellung, wie der Text von Die drei ??? und die Welt der Hörspiele wohl als Hörbuchfassung wirken dürfte (sicherlich ohne Fußnotenzeichen und Anmerkungen), wird einem jetzt schon schlecht. Dem Autor wäre kein Zacken aus der Krone gefallen, hätte er die Herkunft seiner Quellen öfter angesprochen und im Vorwort seine Arbeitsweise offengelegt, anstatt alles ins Kleingedruckte abzudrängen. Das Mindeste wäre ein übersichtliches Literaturverzeichnis, denn der Nachweis einer Quelle wird nur beim ersten Zitat in Gänze erbracht - danach findet man nur noch Kurztitel. Man wüsste auch gerne, wieso die Online-Quellen nicht mit ihren originalen Internetadressen genannt, sondern radikal durch Kurzlinks eines einschlägigen Anbieters (t1p.de) ersetzt worden sind: die Nachhaltigkeit jener gedruckten Quellennachweise wird künftig vom Fortbestand einer einzigen Internetseite abhängen.
Der Flickenteppich aus von Dritten und eigens geführten Interviews verdeutlicht, wie sehr sich Die drei ??? und die Welt der Hörspiele auf das gesprochene Wort, auf die Erinnerungen und die Selbstdarstellungen aller Beteiligten verlässt. Nun können Erinnerungen gewiss hochinteressant sein, sie sind aber - erst recht, wenn sie als nahezu einzige Quellengrundlage eines Buchs dienen - stets mit Vorsicht zu genießen, denn sie geben selektive Wahrnehmungen wieder, die sich überdies im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verändern können, was nur allzu menschlich ist. In der Episode rund um den ersten Erzählereinsatz von Peter Pasetti, welcher hier bzw. ursprünglich im ABC der drei Fragezeichen sowie in einem Interview auf 3fragezeichen.de von Heikedine Körting so dargestellt wird, als hätten die zunehmende Verstimmung und das Beinahe-Fiasko erst nach den technischen Problemen im EUROPA-Studio aufgrund widriger Umstände im Ersatzstudio ihren Lauf genommen, fehlt z.B. die von Körting in einem früheren Nachruf auf der alten dreifragezeichen.de ausgeplauderte Vorgeschichte, Pasetti habe bereits im EUROPA-Studio "nach den ersten fünf Minuten" den Eindruck erweckt, "als wolle er lieber wieder davongehen". Körtings Erklärung hierfür war wenig schmeichelhaft ("Das lag daran, dass er nicht gut vorbereitet war, und das musste ich ihm leider sagen") und führte umgehend zu einem "heftigen Disput". Grundsätzlich darf bezweifelt werden, dass Rodenwald die zahlreichen Aussagen aller Beteiligten auf Vollständigkeit und Plausibilität überprüft hat. So verbreitet er Oliver Rohrbecks in einem Chat schnell hingetippte Erinnerung an seine erste Hörspielrolle in "Michel in der Konservenbüchse" (Astrid Lindgren und Christine Nöstlinger wären irritiert) ebenso wie die von André Minninger in einem Chat dargebotene Erklärung für Java-Jims Kauderwelsch in der ersten Phantomsee-Szene ("Ich habe im Hörspielskript nachgeschaut. Dort steht bei Java Jim: stammelt Unverständliches!"), obwohl im originalen Hörspielskript an der entsprechenden Stelle nichts dergleichen, sondern "Vorsicht. Solche Truhen haben es manchmal ..." zu lesen ist. Es gibt wohl noch weitere in diesem Buch wiedergegebene Anekdoten und Erzählungen, die bei näherem Hinsehen nicht stimmen können oder zumindest mithilfe weiterer Quellen zu hinterfragen wären. Das geschieht hier aber nicht.
Apropos selektive Wahrnehmungen: nicht selten lässt der Verfasser Nachsicht walten, wann immer es für die Produzenten peinlich oder brenzlig zu werden droht. Dass Miller International neben den kultisch verklärten Kinderhörspielen auch viel Schrott, ja, sogar extrem grenzwertige Tonträger produziert hat (man denke nur an die NS-lastige und teils indizierte Dokumentar-Serie, an Ach duuu ... etc.), fällt unter den Tisch. Gelegentlich müssen für einen Fauxpas einfach mal eben andere büßen, etwa wenn Gerlach Fiedler angekreidet wird, ihm seien mit dem Fluch "Du verdammter Hurensohn!" in der Super-Papagei-Neuauflage "die Pferde durch" gegangen - dass anschließend die Kontrollmechanismen am Regiepult versagten, wird in der nichtssagenden Formel "aus unerfindlichen Gründen" versenkt. Dafür, dass sich zum Finale der Super-Papagei-Gala anno 2004 die gesamte Hörspielproduktionsriege auf der Bühne einen komischen Preis selbst verlieh und sich ohne die Buchautoren für das Serienjubiläum in der Arena abfeiern ließ, muss nur Manager Ulli Feldhahn an den Pranger - eine nahezu identisch abgelaufene Selbstbeweihräucherung, nämlich die 1984 von Miller International auf Gut Hasselburg inszenierte Verleihung Dutzender Goldener Schallplatten mitsamt des absurden "EUROPA-Hörspielregiepreises" an Heikedine Körting wird hingegen sachlich abgehandelt: keine Rede davon, dass sich die Hörspielproduzenten mit protzigem PR-Pomp hochjubelten, und auch keine Rede vom schleswig-holsteinischen Ehrengast, dem hinter der Formulierung "hochrangige Vertreter aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur" versteckten Ministerpräsidenten Uwe Barschel.
Dass Die drei ??? und die Welt der Hörspiele als gefällige Serienhistorie angelegt ist, die unliebsame Details gnädig ausblendet, wird im erstaunlich dünnen Kapitel "Schlechte Presse für EUROPA" besonders deutlich. Ähnlich wie in Die Welt der drei Fragezeichen, wo eine literaturwissenschaftliche Einordnung nicht einmal ansatzweise versucht wurde, lässt Rodenwald im zweiten Buch komplett außen vor, dass EUROPA-Hörspiele unter Medienpädagogen in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren alles andere als wohlgelitten waren und von vielen Kollegen der gehobenen Hörspielkunst nicht einmal mit der Kneifzange angefasst wurden. Die von professioneller Seite geäußerte Kritik am kommerziellen Kinderhörspiel wird stattdessen als "schlechte Presse" bzw. "Schmähartikel" marginalisiert und schnurrt in besagtem Kapitel auf drei Artikel zusammen. Mit einem ihrer Autoren, Henning Venske, hat bei EUROPA offensichtlich jemand noch eine Rechnung offen: Venskes gemeinsam mit einem Kollegen im Stern (Nr. 39/86) publizierter und wegen der unüberhörbar tendenziösen Stoßrichtung berüchtigter Artikel Alles ist sauber und heil wird nicht bloß pflichtschuldig und mit entrüstetem Unterton auszugsweise zitiert. Rodenwald ist sich nicht dafür zu schade, es dem renommierten Kabarettisten für dessen mit überaus gespitzter Feder formulierten und neben zahlreichen Breitseiten auch mit teils nicht belegten Zitaten garnierten Verriss in gleicher Münze unterhalb der Gürtellinie heimzuzahlen, indem er von "fragwürdigen Recherche- und Interviewmethoden" raunt, ohne seinerseits auch nur einen Beleg zu liefern. Venske - den viele damalige Kassettenkinder aus der frühen deutschen Sesamstraße in seliger Erinnerung haben dürften - erscheint hier als zwielichtiger Unsympath, dessen Vita auf ebenso tendenziöse Weise überzeichnet wird. So heftig diese und eine weitere im Focus (Nr. 10/97) unter Pseudonym veröffentlichte Attacke (davon wusste der Verfasser offenbar nichts?) auch gewesen sein mögen: dass die inhaltliche Kritik von Alles ist sauber und heil etliche wunde Punkte berührt, wird geflissentlich ignoriert. Rodenwald zieht es vor, diesem Kritiker noch 34 Jahre später eine Retourkutsche für dessen üble Nachrede gegen das Schienbein zu knallen; weitaus interessanter wäre es gewesen, hätte er Venske dazu befragt und sich mit der Kritik auf sachlicher Ebene auseinandergesetzt. Kurzum: für einen Historiker wie Rodenwald ist das Kapitel "Schlechte Presse für EUROPA" ein Armutszeugnis und zeigt einmal mehr, wem dieses Auftragswerk verpflichtet ist.
Fazit: Als bei der Rezension von C. R. Rodenwalds Die Welt der drei Fragezeichen auffiel, dass in jenem Buch den normalerweise omnipräsenten Hörspielen das Rampenlicht entzogen worden war, erschien uns dies als eine "wohltuende Abwechslung zu den handelsüblichen Lobpreisungen der Serie, die viel zu oft ausschließlich über die Befragung ihrer drei Sprecher und ihrer Regisseurin abgewickelt werden". Nun, wir hätten es uns denken können: eben diese Lobpreisungen nach eben diesem Schema hat Rodenwald sich aufgehoben und mit Die drei ??? und die Welt der Hörspiele nachgereicht. Ob das jetzt notwendig war, möge jeder selbst entscheiden. Dass der Verfasser fortwährend von anderen Forschern, Journalisten und Fans geführte, längst publizierte Interviews zu einem zweiten Aufguss zusammenrührt, ist jedenfalls nicht der einzige fade Beigeschmack dieser rundgeschliffenen Haus- und Hofgeschichtsschreibung.
Sven Haarmann (rocky-beach.com), 16.11.2020
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